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Im November 2010 wurde in Albstadt‐Lautlingen die weltweit längste Brücke aus textilbewehrtem Beton eröffnet. Die neue Fußgänger‑ und Radfahrerbrücke entstand als Antwort auf die zunehmenden Sicherheitsmängel der alten Stahlbetonbrücke, die nach nur rund 30 Jahren sanierungsbedürftig geworden war und aufgrund von Standsicherheitsproblemen abgerissen werden musste. In enger Kooperation zwischen der Stadt Albstadt, Groz‑Beckert (dies war vor der Gründung der solidian GmbH als Corporate Start-up von Groz-Beckert) und der RWTH Aachen wurde eine innovative Lösung entwickelt: Durch den Einsatz von textilbewehrtem Beton, der dank seiner nicht korrosiven Eigenschaften eine minimale Betondeckung von nur 1,5 cm erlaubt, konnte eine außergewöhnlich schlanke und leichte Konstruktion realisiert werden. Die Brücke – bestehend aus sechs Fertigteilen mit einer Gesamtspannweite von ca. 97 m und einer Überbauhöhe von nur rund 43,5 cm – demonstriert eindrucksvoll, wie moderne Werkstoffe und präzise Fertigteilbauweise die Lebensdauer und Ästhetik von Bauwerken nachhaltig verbessern können.
Technische Daten
- Gesamtlänge: ca. 97 m
- Überbauhöhe: ca. 43,5 cm
- Segmentierung: 6 Fertigteile (maximale Spannweite ca. 17,2 m)
- Schlankheitsverhältnis: ca. 1:35
- Minimale Betondeckung: 1,5 cm
- Betonqualität: Hochwertiger Feinbeton (Festigkeitsklasse ca. C50/60), speziell angepasst an hohe Frost- und Abriebbeanspruchung
- Bewehrung: Alkaliresistentes Glasfasergelege (AR‑Glas), vorbehandelt mit Epoxidharz zur Aktivierung der vollen Zugfestigkeit
- Vorspannung: Integration konventioneller Monolitzen zur Erhöhung der Tragfähigkeit und Reduktion des Eigengewichts
- Zusatzausstattung: Integriertes LED-Beleuchtungssystem und ansprechendes, filigranes Design
- Lebensdauer: Geplante Nutzungsdauer von ca. 80–90 Jahren
Herausforderungen
Trotz der zahlreichen Vorteile traten während Planung und Bau auch einige Herausforderungen auf:
🟠 Zulassung: Da Textilbeton als Werkstoff noch relativ neu ist, fehlte zum Zeitpunkt der Planung eine umfassende normative Regelung. Die Genehmigung erfolgte deshalb im Einzelfall (ZiE), was einen erhöhten Abstimmungsaufwand erforderte. Heute ist es möglich Brücken gemäß der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung Z-1.6-308 des DIBt und der DAfStb-Richtlinie „Betonbauteile mit nicht-metallischer Bewehrung“ zu planen und zu bauen.
🟠Anforderungen an die Betonqualität: Im Laufe der Zeit zeigten sich geringe Frostabwitterungen am Fahrbahnbelag sowie kleine, längs verlaufende Risse außerhalb der Geländer. Diese beeinträchtigen jedoch nicht die Tragfähigkeit und können durch ein herkömmliches Oberflächenschutzsystem behoben werden. Die schadhaften Bereiche von lediglich ca. 2-3 qm entstanden aufgrund von Herausforderungen im Herstellungsprozess der Fertigteile während der oberflächennahen Betonverdichtung.
🟠Wartungsarbeiten: Wie in aktuellen Pressemitteilungen berichtet, sind regelmäßige Inspektionen (z. B. nach DIN 1076) und geplante Wartungsarbeiten (Austausch von Dehnfugen, Schönheitsreparaturen) notwendig, um den hervorragenden Gesamtzustand auch langfristig zu sichern. Dies liegt daran, dass das Projekt eines der ersten war, das mit textilbewehrtem Beton gebaut wurde. Mit inzwischen über 10 Jahren Erfahrung sind bei zukünftigen Projekten keine Wartungsarbeiten erforderlich.
Die Textilbetonbrücke in Albstadt‑Lautlingen ist ein wegweisendes Pilotprojekt, das zeigt, wie moderne Materialtechnologien im Brückenbau angewendet werden können. Die innovative Kombination aus textilbewehrtem Feinbeton und Vorspannung ermöglicht nicht nur eine beeindruckende, schlanke Bauweise und eine verlängerte Lebensdauer mit bis zu 100 Jahren, sondern liefert auch wertvolle Erfahrungsdaten für zukünftige Projekte. Trotz einiger Herausforderungen ist das Bauwerk nach über 10 Jahren regelmäßiger Wartung und Inspektion in einem sehr guten Zustand und unterstreicht damit das große Potenzial dieser Technologie für die Zukunft.